Greifen wir noch weiter zurück und betrachten wir das geistige Leben unter dem aufgeklärten Max Joseph III., so kann es ja nicht Wunder nehmen, daß sich die Münchner Bürger eine derartige Knebelung noch am Ende des 18. Jahrhunderts ruhig gefallen ließen.
Im Jahre 1760 z. B. gab es in ganz Bayern nur sechs Buchhandlungen, die mit ganz wenigen Ausnahmen nichts als "Erbauungsbücher"*) und "Räubergeschichten" führten. Verlegt wurde hier überhaupt nichts Anderes. "Beinahe werthlos für den Fortschritt der deutschen Geistesbildung ist daher das damalige Schriftthum des katholischen Südens. Zu den Schöpfern und Heroen jener großen Literaturepoche stellte Bayern nicht einen Mann."
Was Wunder, daß dem Berliner Buchhändler Nicolai, als er im Jahre 1762 Süd-Deutschland bereifte, Bayern wie ein ganz fremdes, von aller Kultur noch unbelecktes Land erschien und er ausrief: "Man kann wohl sagen, daß die katholischen Provinzen in Deutschland, sobald von den schönen Wissenschaften und Künsten die Rede ist, ganz auszuschließen sind."
Und was sagt gar Westenrieder voll bitterer Klage: "Werke des Nachdenkens, der Künste, der Ökonomie, mit einem Worte, des Ernstes, worin ein Mann mit Männern redet, finden in Bayern keinen Absatz; was soll auch aufmuntern, sich anzustrengen, wo kein Unterschied der Köpfe? Die allgemeine Sprache lautet: Ich lerne nichts, weil ich nichts brauche! Überall Mangel an Bürgersinn, überall Theilnahmslosigkeit an dem, was in’s Große, in’s Zukünftige geht."
Aber selbst die Zustände an den Hochschulen des Landes - der vollständig im Argen liegenden "Trivialschule" gar nicht zu gedenken - waren äußerst traurig.
Lori klagt noch im Jahre 1777: "Die bayerischen Gelehrtenschulen waren ausschließlich auf den geistlichen Stand berechnet und alle künftigen Minister, Edelleute, Räthe, Offiziere, Beamte, Kaufleute u. s. w. haben sich nach dem gemeinen Leisten eines Landpfarrers oder Religiosen erziehen lassen müssen. Da bekannt ist, daß der Gipfel der geistlichen Gelehrsamkeit bisher in der scholastischen Philosophie bestanden und daß zur Erlernung derselben neben etwas Latein nur die Disputirkunst und die aristotelische Metaphysik erfordert wurde, so ist leicht zu ermessen, warum die deutsche Sprache, die historischen, physikalischen, mathematischen und noch andere zum Leben unentbehrliche Wissenschaften gar nicht oder auf eine höchst unvollkommene Art, nur für den Schein in den Jesuitenschulen gelehrt wurden. Aus diesen sind nach einem mehr als achtjährigen Aufenthalt die leeren Köpfe in die Juristenfakultät u. s. w. gekommen."
Und nun der Klerus selbst! Die ganze "geistige Verkommenheit" der Zeit spiegelte sich in den zahllosen Klerikern wieder, die damals bettelnd und abenteuernd durch das Land zogen.
In seinen "Charakterbildern der bayerischen Geschichte" gibt K. v. Spruner eine überaus lebendige Schilderung jener Zustände. Ein überwiegend großer Theil des Klerus wandte seinen damals noch allmächtigen Einfluß auf das niedere Volk nicht dazu an, dasselbe sittlich zu heben, sondern es nur konfessionell zu dressiren, ja sogar
*) Für den Inhalt bezeichnend waren schon die schwulstigen Titel dieser Bücher. "Geistliche Hosenträger", "Geistliche Handpistolen", "Panzer des ächten Christen gegen die Geschosse des Teufels" u. s. w.